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Europa News

Europapolitisches Magazin Ausgabe 35

Ein Gastbeitrag: Solidarität mit Menschen auf der Flucht

Ein Gastbeitrag: Solidarität mit Menschen auf der Flucht

In meinem Team betreut Lara Sosa Popović die Öffentlichkeitsarbeit und Social Media Plattformen und unterstützt in der Recherche und bei Anfragen von Bürger:innen. In diesem Gastbeitrag stellt sie ihre Forschung im Rahmen ihrer Masterarbeit vor.

Im Jahr 2015 suchten mehr als eine Million Menschen vor dem Krieg in Syrien Schutz in der EU, mehr als je zuvor. In Folge des russischen Einmarschs sind seit Februar 2022 über vier Millionen Menschen aus der Ukraine in der EU angekommen. In beiden Fällen waren und sind die Menschen auf der Flucht vor einem gewaltsamen Konflikt, der sie zur Beantragung von Asyl berechtigt. Doch der EU-Diskurs und die Rechtfertigungen für die politischen Reaktionen auf diese Fluchtbewegungen unterscheiden sich erheblich. 

Im Jahr 2015 bezeichnete der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán Flüchtlinge als „Gift“ und „muslimische Invasoren“ und rechtfertigte die Nichtaufnahme von Flüchtlingen aus anderen Kulturen und Religionen mit der „Erhaltung der kulturellen  und ethnischen Homogenität [Ungarns]“. Statt kohärenter europaweiter politischer Antworten scheiterten die Ratsbeschlüsse an der unzureichenden Umsetzung und die Mitgliedstaaten ergriffen nationale Maßnahmen und handelten einseitig. Diese einseitigen und verspäteten EU-Reaktionen dienten eher der Begrenzung der Ankünfte als dem allgemeinen Schutz der Menschen auf der Flucht.

Im Jahr 2022 verglich der bulgarische Premierminister Kiril Petkov die Flüchtlinge aus der Ukraine mit anderen Flüchtlingen wie folgt: „Das sind nicht die Flüchtlinge, an die wir gewöhnt sind ... diese Menschen sind Europäer. Diese Menschen sind intelligent, sie sind gebildet ... Dies ist nicht die Flüchtlingswelle, an die wir gewöhnt sind, Menschen, bei denen wir uns über ihre Identität nicht sicher waren, Menschen mit unklarer Vergangenheit, die sogar Terroristen gewesen sein könnten“. Dieses Zitat zeigt, wie unterschiedlich die EU-Akteure 2015 und 2022 über Menschen auf der Flucht sprechen. Nicht nur die Beschreibung und Wahrnehmung der Flüchtlinge aus der Ukraine unterscheidet sich von früheren Flüchtlingsbewegungen, sondern auch die politischen Reaktionen der EU und ihre Rechtfertigung haben sich geändert. Anders als in der sogenannten „Flüchtlingskrise“
von 2015 haben die EU und ihre Mitgliedstaaten bisher gemeinsam mit einem beispiellos schnellen und unbürokratischen vorübergehenden Schutz für die Flüchtlinge aus der Ukraine reagiert.

Um den Wandel im EU-Diskurs und die Rechtfertigung der politischen Reaktionen besser zu verstehen, habe ich in meiner Masterarbeit den EU-Diskurs über Menschen auf der Flucht in den Jahren 2015 und 2022 verglichen. Dabei habe ich untersucht, wie die jeweiligen politischen Entscheidungen von den EU-Akteuren Rat, Mitgliedstaaten, Kommission und Parlament begründet wurden. Denn die Art, wie wir über etwas sprechen, hat einen Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung. 
Daher habe ich in meiner Studie die Frage gestellt:

Wie haben die EU-Akteure die politischen Reaktionen auf die Fluchtbewegungen 2015 und 2022 gerechtfertigt?  

Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die EU-Akteure 2015 nicht einer Meinung waren, was das eigentliche „Problem“ sei. Dementsprechend haben sie viel 
intensiver diskutiert als im Vergleich zu 2022. 2022 waren die EU-Akteure einer Meinung, wieso die Menschen fliehen und wie die EU darauf reagiert.

Außerdem konnte gezeigt werden, dass die EU-Akteure in ihrer Art und Weise zu sprechen sich 2022 mehr auf Solidarität bezogen haben als im Vergleich zu 2015. Dabei kann man jedoch nicht schlussfolgern, dass die EU-Akteure nun solidarischer mit Geflüchteten sind. Denn meine Ergebnisse haben gezeigt, dass diese Solidarität nur unter bestimmten Bedingungen auftritt. Nur wenn die EU-Akteure eine übereinstimmende Definition der Fluchtursache teilen, die Fluchtursache als Bedrohung verstanden wird und die Flüchtlinge als „kulturell nah“ betrachtet werden, dann führen die EU-Akteure einen geschlossenen und solidarischen Diskurs. Es ist jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Erkenntnis jeweils unterschiedlich stark auf die untersuchten EU-Akteure Rat, Mitgliedstaaten, Kommission und Parlament zutrifft.

Abschließend ist zu hoffen, dass die Tendenz zu mehr Solidarität zu einer nachhaltigen solidarischen Entwicklung der EU-Migrationspolitik führt. Einzelne EU-Beschlüsse, wie z. B. ein freiwilliger solidarischer Verteilungsmechanismus zwischen einigen wenigen Mitgliedstaaten, geben Anlass zu leiser Hoffnung.